Was ist so schwer am leichten Sitz?

 


Felix Vogg und Connection an der Pony-EM 04 in Jaszkowo

10.6.08/cm. Viele tun sich schwer mit dem 'leichten Sitz'. Nicht nur in den Basisprüfungen in Bülach, generell in den Basisprüfungen in der Schweiz scheint es sich fast um ein Geheimwissen oder -können zu handeln. Ein riesengrosser Prozentsatz der B1-Reiter, noch weit über die Hälfte der B2-Reiter und immer noch erstaunlich viele B3-Reiter scheppern ausgesessen durchs Gelände, mit wilden Oberkörperbewegungen pumpen sie sich von Sprung zu Sprung. Wenn ich hier bewusst keine Fotos als Belege anführe, dann nicht, weil es keine gäbe, sondern weil es vielleicht als verletzend empfunden würde von den Abgebildeten. Es geht auch in keiner Weise um das Kritisieren Einzelner, sondern um einen konstruktiven Beitrag zu einer Verbesserung bezüglich der Basis-Ausbildung. Ein korrekter Sitz gehört sowohl in der Dressur wie im Springen zu den ganz zentralen Ausbildungszielen der Basisausbildung - wieso sollte es beim Crossreiten anders sein? Das Problem beginnt vielleicht schon bei der Bezeichnung. Denn beim 'leichten Sitz' und dessen Variante für tiefere Landestellen oder sonstige delikate Situationen, dem sogenannten 'Safety-Seat', sitzt man gar nicht, sondern man steht in den Bügeln und stützt - je nach Kürze der Bügelriemen - sogar in längeren Galoppphasen einen Teil des Gewichts mit dem unteren Teil der Oberschenkel und dem Knie ab wie die Rennreiter. Auf jeden Fall ist das Gesäss ganz klar nicht im Sattel. Die Hose kann die Satteloberfläche je nach Position vor, am, im oder nach dem Sprung berühren, aber das Gewicht ist grundsätzlich aus dem Sattel. Wenn man Könnern zuschaut, dann kommt es nur in richtigen Notsituationen vor, dass der Reiter voll absitzt. Z.B. wenn das Pferd einen Tiefsprung nicht richtig steht oder aus einem anderen Grund stolpert, vielleicht sogar auf die Knie fällt. Dann kann es sein, dass für den Bruchteil einer Sekunde alle vorwärtstreibenden Hilfen gleichzeitig angewendet werden: Bein, Sporen, Gerte, Vollsitz und vielleicht noch ein Schrei. Es sind die Lagen, in denen auch die Zügelhilfe ganz atypischerweise zum Aufrappeln, Aufzerren eingesetzt werden - Pippa Funnell zeigte ein solches Beispiel blitzschneller Totalreaktion an den OS 2000 in Sidney nach einem völlig missglückten Wassereinsprung. Das Pferd war völlig ausser Balance geraten, lag halb auf den Knien. Es rumpelte und knallte, das Pferd sprang auf und war mit zwei Sätzen beim Wasseraussprung. - Da sah ich sie für den Bruchteil einer Sekunde im Vollsitz.


Tiziana Realini in perfekt-aerodynamischer Galoppierposition auf Valentino Flying am CIC* Frauenfeld 08

Der 'leichte Sitz' ist also eher so etwas wie eine Haltung, eine Position. Ich spreche im Folgenden von der 'Crossposition' des Reiters.


Camille Guyot geht in Safetyposition auf Halki du Montet vor einem Graben am CCI* Radolfzell 08

Auch der 'Safety-Seat' oder 'Sicherheitssitz', den ein geübter CC-Reiter immer dann einnimmt, wenn die Landestelle tiefer ist, wenn er dem Boden auf der Landeseite oder der Springwilligkeit seines Pferdes nicht ganz traut, ist kein 'Sitz', sondern nur eine Variante der Crossposition: der Oberkörper geht zurück vor dem Sprung, bei Absprüngen auch in der Flugphase, während der auch die Unterschenkel leicht nach vorn kommen, um die tiefere Landung abfedern zu können und eben gerade nicht in den Sattel zu plumpsen, aber auch nicht vornüber auf den Hals zu kippen und die eh schon grossen auf die Vorhand des Pferdes wirkenden Kräfte noch zu verstärken. Ziel ist, den Schwerpunkt des Reiters keinesfall vor dem Schwerpunkt des Pferdes zu platzieren, lieber ein bisschen weiter hinten. Wer im Safety-Seat ist, kann bei einem Stolperer, einem Ausrutscher, aber auch beim Versuch eines Run-outs noch reagieren. Wer nett auf dem Hals liegt, hat diese Chance vertan.


Tamara Acklin und Belle Mykena, SM Avenches 06

Dass sowohl die Crossposition wie der Safety-Seat bei den Schweizer CC-Basisreitern nahezu unbekannt zu sein scheint, kann verschiedene Gründe haben. Ich versuche einige aufzulisten:

- Mangelnde Fitness und Bequemlichkeit: Die Crossposition ist ein klein wenig anstrengend. Man muss das Gewicht selbst tragen, auch und vor allem das Übergewicht, das in der Basis zentnerweise herumgeschleppt wird. Hier gibt es einen kleinen Tipp nebst der Empfehlung, sich die nötige Fitness anzueignen - nur schon aus Respekt dem Pferd gegenüber, das uns bergauf und -ab durch die bekanntlich eher hügelige Schweizer Landschaft tragen muss. Wer Sicherheitsbügel hat und damit nicht Angst haben muss, bei einem Sturz drin hängen zu bleiben, kann etwas weiter in den Bügel schlüpfen, über die breiteste Stelle des Stiefels hinaus. Dies entlastet die Wadenmuskeln spürbar. Im Übrigen: Übung macht den Meister. Ausritte nach dem Motto: "Wer zuerst absitzt, bezahlt XY..." können durchaus das bisschen Leiden mit Spass verbinden.

- Technische Unfähigkeit: Wer keine Übung in der Crossposition hat, tut sich auch schwer, mit Händen und Beinen unabhängig zu agieren in dieser Lage. Wenn man sich mit Mühe und Not in den Bügeln stehend hält, kann man kaum effizient treiben mit dem Bein. Doch auch das, was anfänglich wie die Quadratur des Zirkels aussieht, gibt sich rasch, wenn man obige Ausritte pflegt, die mit Vorteil an schrecklichen Dingen vorbei führen sollten, in denen man sein Pferd gut vor dem Schenkel haben muss. Dann brauchen die meisten Basisreiter das Gewicht des vorwärtsziehenden Pferdes, um die Balance zu halten in der Crossposition, wenn sie denn schon je eingenommen wird. Ohne den Druck der zerrenden Kilos in den Händen plumpsen sie hilflos in den Sattel. Testen Sie sich selbst im Halt und im Schritt. Erst wenn es ohne das Hineinlehnen des Oberkörpers ins Zügelgewicht geht, besteht die Chance, dass die Position einigermassen korrekt ist. Meist sind die Beine zu weit vorn, sodass mangels Zug an der Hand der Hintern eben gemäss dem Gesetz der Schwerkraft nach hinten zieht, wo das Auffangbecken, die rettende 'Pfanne' wartet.

- Unkenntnis: Aufgrund der Geländekurse, die ich in diesem Jahr in der Schweiz gab, musste ich mit gelindem Entsetzen feststellen, dass es helvetische CC-Reiter gibt, die noch nie von einer korrekten Crossposition gehört haben. Sie sehen ständig nur Basisprüfungen, und da reiten ja (fast) alle ausgesessen durch die Prärie, also wird das wohl richtig sein? - Natürlich könnte man sich auch als Basisreiter etwas weiter oben orientieren, aber da wir keine CC-Lizenz kennen und offenbar all die wohlmeinenden Ausbilder in den Regionalverbänden entweder selbst zu den Vollsitzpiloten gehör(t)en oder mit ihrer Botschaft nie bis zu den Schützlingen vordrangen, konnte es zu dieser Misere mit doch erstaunlichem quantitativen Ausmass kommen. Es gibt haufenweise Funktionäre von der Basis bis zur Spitze, und sie verbringen Stunden und Tage an Sitzungen und Konferenzen, debattieren über Styroporhindernisse und rote Fähnchen, erfinden wilde Punktesysteme und amten als Hinrichter in Dressur und Springen - aber das naheliegendste, den CC-Reitern das ABC beizubringen, das findet offenbar nicht oder doch nicht in genügendem Masse statt. Es ist ja toll und ganz in meinem Sinne, wenn es heute Prüfungen nicht nur für Babys, sondern mit 'Jump Green' sogar für CC-Embryos gibt. Ein paar wenige winzige Gümplis für die Allerjüngsten. Aber was nützt es, wenn niemand den Embryos sagt, WIE man das machen sollte. Wenn hier schon im Vollsitz rumgeplumpst wird und niemand was sagt, wie, wann und wo sollen sie's denn lernen? Und wenn sie's freiwillig nicht tun, könnte man ja eine kleine Prüfung obligatorisch machen, wie wir es von der Schule und von den Lizenzen für andere Disziplinen kennen. Die Einsicht ist so alt wie die Menschheit, dass man sich eher bequemt, etwas zu lernen, wenn man weiss, dass erst das Bestehen einer Prüfung die grosse weite (CC-)Welt öffnet.


Sarah Algotsson mit Robin des Bois an den Olympischen Spielen von Athen 2004

Wie wichtig ist eine gute Crossposition?
Sicher darf es stilistische Mängel geben an der Basis, die gibt es in allen Ländern. In England, wo ich viele Basisprüfungen gesehen habe, sind die Mängel aber viel eher bei der Führung und beim Tempobewusstsein zu verorten. Ich habe zumindest in keinem Pre-Novice aussitzende Plumpreiter gesehen, wie sie bei uns schon fast die Regel darstellen. Nun kann man sich fragen, ob die beanstandeten Mängel der Position des Reiters im Cross denn nur ein ästhetisches oder auch ein funktionales Problem darstellen. Ich meine natürlich Letzteres, denn das ausgesessene Reiten im Gelände und das mangelnde Zurücknehmen des Oberkörpers bei delikaten Sprüngen, tieferer oder etwas rutschiger Landestelle kann je nach Mass und Grad folgende Auswirkungen haben:

- minimal wird die Rückentätigkeit des Pferdes bei hohen Galopptempi gestört

- die meist hinter dem Rhythmus des Pferdes hinterher hinkenden Pumpbewegungen haben gar keine treibende, sondern sogar eine verlangsamende Wirkung

- die durch das Pumpen erzeugte Unruhe setzt sich meist in den Beinen, Armen und Händen fort. Durch dieses Geschaukel und die ganze dysfunktionale Bewegerei ist die Kommunikation generell, die Führung des Pferdes speziell meist schlechter

- das Pferd hat deshalb auch mehr Mühe, sein Gleichgewicht zu halten, was im topographisch anspruchsvollen Gelände mit Bodentypwechseln, Auf- und Absprüngen besonders stark ins Gewicht fällt

- die Chance, dass der Reiter mit der Hand nicht mitgeht im Sprung, ist grösser wenn er aussitzt, vor allem dann, wenn das Pferd früher abdrückt als er erwartet hat

- die für das Ausbalancieren des Sprungs essentielle Spannung der Bauch- und Rückenmuskeln ist in aller Regel kleiner, wenn jemand aus Bequemlichkeit aussitzt, als wenn er sie bereits braucht um die Crossposition zu halten

- durch Unruhe, Gleichgewichtsstörungen und schlechtere Führung entstehen mehr Vorkommnisse, Run-outs, Stops und Stürze, die alle nicht nötig wären, wenn der Reiter das ABC beherrschen würde

- aussitzende Reiter schnallen meistens die Bügel zu lang - es sitzt sich bequemer so! Lange Bügel bedeuten aber nicht etwa mehr, sondern weniger Balance, weniger Sicherheit. Wer fit ist und oft mit kurzen Bügeln reitet, fällt weniger vom Pferd als der aussitzende Langbügelreiter, der bei einem Rumpler oder Sturz oft in hohem Bogen über den Hals kippt.

Aus all diesen funktionalen Gründen behaupte ich, dass diese beanstandeten Mängel auch in hohem Masse sicherheitsrelevant sind und sich nicht mit dem Gebot des Horsemanship vereinbaren lassen. Wer nicht wenigstens die paar Minuten eines Geländeritts eine einigermassen brauchbare Crossposition einnehmen kann, hat auf einer CC-Strecke nichts verloren - dem Pferd und dem Reiter zuliebe hat er zuerst die Basisausbildung, den CC-Kindergarten zu besuchen. Man schickt Surf-Greenhorns auch nicht gleich auf hohe See: sie üben an einem im Sand aufgestellten Segel die Grundpositionen. Es geht dabei nicht um Schikane und auch nicht nur um Sicherheit, sondern letztlich auch um eine Erhöhung des Vergnügens - des Pferdes und des Reiters. Wenn ich an die teils kreideweissen, von Angst und Entsetzen geprägten Gesichter der wild fuchtelnd und ausgesessen gegen winzigste Sprünge schlingernden B-Reiter denke und mir all die Bilder ins Gedächtnis rufe von verwirrten, im Zickzack und über die Schulter fallenden, am Sprung von im Rücken hockenden, an den Zügeln zerrenden Reitern behinderten Pferden, deren Augen und Ohrenspiel zeigt, wie wenig die Kommunikation mit dem 'Piloten' funktioniert, so bin ich überzeugt, dass sich diese Mienen etwas aufhellen würden nach bestandener Grundausbildung.

 

Lösungsvorschläge

- CC-Lizenz: Ein kleiner Zusatz zur Springlizenz würde meines Erachtens bereits reichen. Hier könnten die grundlegendsten technischen Besonderheiten des CC-Reitens und auch die wichtigsten Reglementskenntnisse abgefragt werden.

- Stilgeländeprüfungen und Geländepferdeprüfungen: In diesen in Deutschland und Frankreich häufigen Prüfungstypen wird der Stil des Reiters und des Pferdes von einer Jury auf Platz und Live über Lautsprecher bewertet. Wie mir der Chef Technik der Disziplinleitung CC, Hans Klemm, in Bülach sagte, möchte er diese Prüfungen auch in der Schweiz einführen. Genau so wie die Stilprüfungen im Springen könnten solche Stilgeländeritte das Augenmerk nicht nur auf 'fehlerfrei in der Zeit', sondern auch einmal vermehrt auf das WIE richten, auf die Art und Weise, wie Reiter und Pferd ihre Leistung vollbringen. Wenn die drei Vogg-Brüder durch brillanten Geländestil auffallen in der Schweiz, so hat das laut Mutter und Coach Danièle Vogg viel mit den unzähligen Stilprüfungen zu tun, die die drei in jüngsten Jahren absolvierten. Wenn es bei der Einführung dieser Prüfungen in der Schweiz allerdings so harzig zugehen sollte wie bei der CC-Lizenz und sonstigen Neuerungen, dann werden frühestens unsere Urenkel in den Genuss dieser lehrreichen Veranstaltungen kommen. Doch hoffen wir, dass für einmal die urbeamtische Befriedigung "Was könnte ich heute verhindern" zugunsten der urunternehmerischen Lust "Was könnte ich heute ermöglichen" hintangestellt wird.

- Fachmann als Co-Speaker: Was bei TV-Übertragungen von Springwettbewerben gang und gäbe ist, könnte man auch bei CC-Basisprüfungen machen. Ein Fachmann kommentiert die Ritte unter Stil-Gesichtspunkten. Dies wäre für die Zuschauer bestimmt interessanter als die unsäglichen Repetitionen der ellenlangen Sponsorbezeichnung aller Sprünge oder die seichten Sprüche von Fachkenntnis unbelasteter ländlicher Speaker, die meist erfolglos Übervater und Kursguru Dagobert zu imitieren trachten. Zu beachten ist allerdings, dass der Reiter als wichtigster Empfänger der Kritik diese Kommentare im Wettkampffieber nur teilweise oder gar nicht mitbekommt oder sogar unterwegs verwirrt werden könnte. Ein Blatt, das bei der Rangverkündigung abgegeben wird und auf dem die wichtigsten Punkte schriftlich festgehalten sind, könnte diesen Nachteil wettmachen. Die crux bei diesem Vorschlag ist wahrscheinlich die Schwierigkeit, kompetente Fachleute zu finden, die sich für diesen Job zur Verfügung stellen. Paul Weier machte dies während Jahrzehnten brillant im Springsport, sowohl am Fernsehen wie bei seinen Trainingsprüfungen im Winter, bei denen man für einen Fünfliber ein Protokoll zum Parcours erhielt. Fachleute dieses Kalibers gibt's - hélas - natürlich nicht allzuviele in Helvetien. Aber einen Versuch wäre es wert, Vorschläge werden jederzeit gerne entgegengenommen.

- Ausbildungsschwergewicht 'Crossposition' in den CC-Lehrgängen der Regionalverbände: Falls es so etwas gibt wie CC-Lehrgänge in den Regionalverbänden, was ich hoffe und annehme, könnte ja in Zukunft der Crossposition und dem Safety-Seat ein besonderes Gewicht beigemessen werden - solange, bis sich das Bild in unseren Basisprüfungen ändert und es so selbstverständlich wird wie in anderen Ländern, dass auch der Allerwerteste der buschreitenden Eidgenossen aus dem wertvollen Sättelchen gehoben wird...


Alain Piguet in leichtgradiger Safety-Position bei einem mächtigen Satz Foreveurs in Saumur 06